Betrug

 

  1. Einleitung: Betrug im digitalen Zeitalter – neue Gefahren, alte Muster
  2. Rechtslage bei Betrug: Abgrenzung zwischen zivilrechtlichem Schaden und strafbarer Täuschung (§ 263 StGB)
  3. Internetbetrug und Identitätsmissbrauch: Fake-Shops, Verkaufsplattformen, gefälschte Profile
  4. Festgeldbetrug und Anlagebetrug: Lockangebote, Scheinfirmen, Rückgewinnungsversprechen
  5. Phishing und Kontoübernahmen: Bankzugang, Zwei-Faktor-Umgehung und Drittüberweisungen
  6. Online-Trading-Betrug: gefälschte Handelsplattformen, CFD-Fallen und Offshore-Broker
  7. Aktien- und Kryptobetrug: Pump-and-Dump, Fake-Coins, dubiose Investmentmodelle
  8. Love Scam, WhatsApp- und Telegram-Betrug: emotionale Manipulation, Geldforderungen, Social Engineering
  9. Rückforderung und Schadensersatz: zivilrechtliche Ansprüche, Kontosperrung, Rückbuchung, Adressermittlung
  10. Betrug der Zukunft: Künstliche Intelligenz, Deepfakes und neue Herausforderungen für den Rechtsstaat

 

1. Einleitung: Betrug im digitalen Zeitalter – neue Gefahren, alte Muster

Die Digitalisierung hat das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben tiefgreifend verändert. Transaktionen werden heute online abgewickelt, persönliche Kommunikation verlagert sich auf Messenger-Dienste, und Geldanlagen werden mit wenigen Klicks auf Plattformen abgewickelt. Doch mit den neuen Möglichkeiten gehen auch neue Risiken einher: Betrug hat sich digitalisiert und professionalisiert. Betrüger agieren international, technisch versiert und in täuschend echter Aufmachung.

Während der klassische Betrug noch auf der persönlichen Täuschung beruhte, treten heute hochautomatisierte und schwer erkennbare Methoden an seine Stelle. Opfer werden auf Fake-Webseiten gelockt, zur Preisgabe sensibler Daten verleitet oder in betrügerische Investmentmodelle eingebunden. Oft sind sie sich lange Zeit keiner Straftat bewusst – und wenn, ist der Schaden bereits eingetreten.

Die anwaltliche Praxis im Bereich Betrugsrecht hat sich infolgedessen stark erweitert. Neben strafrechtlichen Fragestellungen treten zunehmend zivilrechtliche Ansprüche in den Vordergrund: Rückgewinnung von Geldern, Schadensersatz, Kontosperrung, Adressermittlung und Beweisführung. Ziel ist es, die Opfer nicht nur zu schützen, sondern auch effektiv zu vertreten und deren Verluste – soweit möglich – zu kompensieren.

 

2. Rechtslage bei Betrug: Abgrenzung zwischen zivilrechtlichem Schaden und strafbarer Täuschung (§ 263 StGB)

Der Betrugstatbestand gemäß § 263 StGB ist ein Vermögensdelikt. Er setzt voraus: eine Täuschungshandlung, einen Irrtum beim Opfer, eine dadurch verursachte Vermögensverfügung sowie einen daraus resultierenden Vermögensschaden. Diese vier Elemente bilden das Herzstück strafrechtlicher Betrugsvorwürfe.

Zivilrechtlich besteht der Fokus auf Schadensersatz und Rückabwicklung. Nach § 826 BGB (sittenwidrige vorsätzliche Schädigung) und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB kann ein zivilrechtlicher Anspruch auf Rückzahlung oder Kompensation bestehen. In vielen Fällen bestehen zudem vertragliche Rücktrittsrechte, Anfechtungsmöglichkeiten (§ 123 BGB) und Rückforderungsansprüche wegen ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB).

Die Abgrenzung zwischen strafbarem Verhalten und bloß zivilrechtlichem Fehlverhalten (z. B. schlechte Beratung) ist oft schwierig. Die genaue juristische Einordnung und Beweiswürdigung ist entscheidend für die Durchsetzung von Ansprüchen – und erfordert fundierte anwaltliche Erfahrung in beiden Rechtsgebieten.

 

3. Internetbetrug und Identitätsmissbrauch: Fake-Shops, Verkaufsplattformen, gefälschte Profile

Internetbetrug in seinen verschiedenen Ausprägungen stellt eine der häufigsten Erscheinungsformen moderner Wirtschaftskriminalität dar. Technische Hürden zur Erstellung täuschend echter Webseiten, E-Commerce-Plattformen oder Kommunikationsprofile sind mittlerweile so gering, dass selbst Laien binnen Stunden funktionale Fake-Shops oder Phishing-Portale aufsetzen können. Hinzu kommen automatisierte Baukästen, gestohlene HTML-Quellcodes realer Anbieter und sogenannte Bulletproof Hostings, die auch auf behördliche Hinweise nicht reagieren.

Ein häufiges Szenario: Nutzer gelangen über Werbeanzeigen oder Suchmaschinen auf scheinbar vertrauenswürdige Webseiten, die Markenprodukte zu Sonderpreisen anbieten. Der gesamte Bestellprozess ist technisch einwandfrei – inklusive Warenkorb, Zahlungsschnittstellen und Bestellbestätigung. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine betrügerische Plattform. Die Zahlungen erfolgen per Vorkasse, das Produkt wird nie geliefert. Rückfragen bleiben unbeantwortet oder führen ins Leere.

Besonders problematisch sind auch Plattformen, die über einen längeren Zeitraum aktiv bleiben, regelmäßig ihre Domains wechseln oder mit realen Firmenadressen arbeiten. Oft verwenden die Täter Impressumsdaten real existierender Unternehmen, deren Identität sie missbräuchlich verwenden – sogenannter Identitätsdiebstahl. Auch E-Mail-Konten oder Telefonnummern werden gefälscht, um die Täuschung zu perfektionieren.

Die rechtliche Einordnung umfasst sowohl strafrechtliche als auch zivilrechtliche Komponenten. Strafrechtlich liegt regelmäßig ein vollendeter Betrug (§ 263 StGB) vor, häufig in Tateinheit mit Urkundenfälschung (§ 267 StGB), Datenveränderung (§ 303a StGB) oder Identitätsmissbrauch. Die Verfolgung ist jedoch erschwert, da Server und Täter im Ausland sitzen und IP-Adressen häufig über Anonymisierungsdienste laufen.

Zivilrechtlich kann eine Rückforderung der Zahlung über § 812 BGB (Leistung ohne Rechtsgrund) oder § 823 BGB (deliktische Handlung) erfolgen. Schwierig ist dabei die Geltendmachung gegenüber unbekannten Tätern. In Betracht kommt eine Inanspruchnahme von Zahlungsdienstleistern (etwa bei fehlerhafter Umsetzung der Zahlung) oder Banken im Wege der Störerhaftung. Bei Verwendung gestohlener Identitäten besteht zudem das Risiko, dass Dritte unberechtigt in Anspruch genommen werden – etwa wenn auf deren Namen ein PayPal-Konto oder Bankkonto eröffnet wurde.

Ein erfahrener Anwalt kann durch Kontaktaufnahme mit Hostern, DNS-Providern und Registraren sowie durch einstweiligen Rechtsschutz erreichen, dass betrügerische Plattformen schnellstmöglich abgeschaltet werden. Zudem können bei Kreditkartenzahlung oder Lastschriftverfahren Rückbuchungen durchgesetzt und Kontoempfänger über Auskunftsanträge identifiziert werden.

 

4. Festgeldbetrug und Anlagebetrug: Lockangebote, Scheinfirmen, Rückgewinnungsversprechen

Die Versprechung sicherer, hochverzinster Festgeldanlagen ist ein klassisches Einfallstor für Betrüger – insbesondere gegenüber sicherheitsorientierten Privatanlegern. Die Täter nutzen dabei täuschend echte Internetportale, auf denen „Vergleichstests“ renommierter Festgeldanbieter erscheinen, inklusive Logos echter Banken, angeblichen Testergebnissen, „BaFin-Nummern“ und positiven Erfahrungsberichten. Diese Seiten verlinken auf gefälschte Antragsformulare, über die potenzielle Anleger ihre persönlichen Daten preisgeben und zur Kontoeröffnung oder Überweisung auf ausländische IBANs aufgefordert werden.

Oft werden Plattformen genutzt, die von Offshore-Firmen mit Sitz in Staaten wie Belize, Dominica, Hongkong oder dem Marshall-Inseln betrieben werden – Staaten, die keine oder nur minimale Auskunfts- und Kooperationspflichten gegenüber deutschen Behörden haben. Teilweise existieren die „Firmen“ nur virtuell. Die verwendeten Konten sind auf Strohmänner registriert, und das eingezahlte Kapital verschwindet innerhalb weniger Stunden durch verschachtelte Transaktionen in verschiedenen Ländern.

Ein besonders perfides Nachstadium dieser Betrugsmasche ist das sogenannte Recovery Fraud: Hier geben sich dieselben Täter oder „Kooperationspartner“ als Ermittlungsdienste, Anwaltskanzleien oder Rückgewinnungsstellen aus und versprechen – gegen Vorkasse – eine Wiederbeschaffung des verlorenen Kapitals. Viele Geschädigte zahlen erneut.

Zivilrechtlich bestehen bei rechtzeitigem Einschreiten Chancen, das Kapital teilweise zurückzuerhalten – etwa durch Rücküberweisungen, wenn Banken Zahlungsauffälligkeiten erkennen oder durch Sperrung von Mitteln auf Zwischenkonten. Anwaltlich können Auskunftsansprüche gegen Zahlungsdienstleister, Hosting-Provider und E-Mail-Provider geltend gemacht werden. Auch einstweiliger Rechtsschutz kommt in Betracht, um Beweise zu sichern oder Auszahlungen zu stoppen.

In der Praxis ist zudem eine internationale Koordination erforderlich. Hierzu gehören Mutual Legal Assistance Treaties (MLATs), Rechtshilfeersuchen über Europol, internationale Auskunftsverfahren und die Einschaltung spezialisierter Ermittlungsdienste oder Private Investigators mit Zugang zu internationalen Datenbanken. Je früher reagiert wird, desto höher sind die Erfolgschancen.

Strafrechtlich ist neben § 263 StGB regelmäßig auch der Tatbestand der Geldwäsche (§ 261 StGB) erfüllt. Problematisch ist die Tatverfolgung vor allem bei unklarer Täterstruktur, fehlenden Meldepflichten im Ausland und Verschleierung durch Kryptowährungen.

 

5. Phishing und Kontoübernahmen: Bankzugang, Zwei-Faktor-Umgehung und Drittüberweisungen

Phishing ist eine Form des digitalen Identitätsdiebstahls, bei dem mittels gefälschter E-Mails, SMS, Webseiten oder sogar Telefonanrufen („Vishing“) vertrauliche Zugangsdaten erschlichen werden. Während früher massenhafte Spam-Mails mit schlechtem Deutsch verbreitet wurden, sind heutige Phishing-Attacken hochpersonalisiert. Oft kennen die Täter Name, Adresse, Bankverbindung oder andere persönliche Informationen, was die Glaubwürdigkeit erhöht.

In vielen Fällen imitieren die Betrüger Mails oder SMS von Banken, Online-Bezahldiensten oder Paketdiensten. Die Links führen auf täuschend echte Kopien der Originalwebseiten. Ziel ist es, Zugangsdaten, TANs oder App-Freigaben zu erlangen. In Kombination mit Social Engineering – etwa durch Anrufe von angeblichen Sicherheitsmitarbeitern – gelingt es zunehmend, selbst Zwei-Faktor-Authentifizierungen zu überwinden.

Einmal im Besitz der Zugangsdaten, loggen sich die Täter ins Online-Banking ein, veranlassen Überweisungen oder richten Daueraufträge ein. Dabei werden häufig „Maultierkonten“ eingesetzt – also Privatpersonen, die gegen Entgelt ihre Konten zur Verfügung stellen. Diese Konten fungieren als Zwischenschritt, bevor die Gelder ins Ausland weitergeleitet werden.

Zivilrechtlich stellt sich die Frage, ob die Bank für den entstandenen Schaden haftet oder ob ein Mitverschulden des Kunden vorliegt. Nach § 675u BGB haftet die Bank grundsätzlich bei nicht autorisierten Zahlungsaufträgen. Nach § 675v Abs. 3 BGB kann die Bank jedoch die Erstattung verweigern, wenn der Kunde grob fahrlässig gehandelt hat – etwa durch Preisgabe von TANs oder Installation schädlicher Software.

Die Gerichte prüfen in diesen Fällen sehr genau, ob der Kunde die zumutbaren Sicherungsmaßnahmen eingehalten hat. Dazu gehören: die Prüfung der URL, der Verzicht auf Links in E-Mails, die Verwendung aktueller Virensoftware und das Misstrauen gegenüber verdächtigen Kontakten. In der Regel müssen Banken nachweisen, dass der Auftrag durch den Kunden autorisiert wurde – was bei Phishing regelmäßig nicht gelingt.

Ein erfahrener Anwalt kann Banken zur Rückzahlung auffordern, technische Gutachten einholen, Sperranträge stellen und zivilrechtlich gegen „Maultierkonten“ oder Zahlungsketten vorgehen. Auch Strafanzeige ist zwingend erforderlich – nicht nur zur Verfolgung der Täter, sondern auch zur Einleitung internationaler Fahndung nach den verwendeten Konten.

 

6. Online-Trading-Betrug: gefälschte Handelsplattformen, CFD-Fallen und Offshore-Broker

Der sogenannte Online-Trading-Betrug ist eine der am professionellsten organisierten und für Geschädigte finanziell schwerwiegendsten Betrugsformen des digitalen Zeitalters. Im Zentrum stehen gefälschte oder rechtswidrig betriebene Handelsplattformen, auf denen angebliche Finanzprodukte wie Differenzkontrakte (CFDs), Devisen (Forex), Kryptowährungen, Optionen oder Aktien angeboten werden. Tatsächlich handelt es sich jedoch um Täuschungsplattformen mit dem Ziel, Anleger zu Einzahlungen zu verleiten und diese vollständig abzuschöpfen.

Die Täterorganisationen sind technisch versiert, psychologisch geschult und international vernetzt. Sie operieren mit täuschend echt wirkenden Webseiten, Fake-Lizenzen von Aufsichtsbehörden (z. B. „BaFin-lizenziert“, „CySEC-reguliert“), scheinbaren Risikohinweisen und professionellem Kundenservice. Das Geschäftsmodell basiert auf einem systematischen Aufbau von Vertrauen und Eskalation der Einzahlungssummen – von wenigen Hundert Euro bis hin zu sechsstelligen Beträgen.

In der Regel verläuft der Betrug in mehreren Phasen:

  • Phase 1: Anbahnung Opfer stoßen über Social Media, Google Ads, YouTube-Videos oder Finanzvergleichsportale auf die Plattform. Mit Versprechen hoher Gewinne und geringem Risiko („ab 250 € einsteigen“, „mit Elon Musk investiert“, „EU-zertifizierter Broker“) erfolgt die Registrierung.
  • Phase 2: Erstkontakt Kurz nach der Registrierung meldet sich ein angeblicher „Account Manager“ telefonisch. Der Kontakt erfolgt häufig in deutscher Sprache und sehr freundlich, mit Betonung auf Sicherheit und „Transparenz“.
  • Phase 3: Einzahlung und fiktive Gewinne Zunächst wird zu einer kleinen Einzahlung (meist 250–500 €) aufgefordert. Die Plattform zeigt fiktive Handelsverläufe mit hohen Gewinnen. Dies motiviert zur Nachinvestition. Zwischenzeitlich wird auch der Zugriff auf ein Dashboard mit Live-Kursen, Kontoständen und Charts gewährt – alles simuliert.
  • Phase 4: Eskalation Der Anleger wird zu höheren Summen animiert: 5.000 €, 10.000 €, bis hin zu 100.000 € oder mehr. Teilweise wird zu Kreditaufnahmen geraten („Ihr Konto steht kurz vor dem Durchbruch“, „Verpassen Sie die Bitcoin-Rallye nicht“). Parallel erfolgt oft eine „Steuerpflicht“-Warnung: Man müsse auf Gewinne 15–30 % „vorab“ zahlen, um auszahlen zu können.
  • Phase 5: Abbruch Sobald das Opfer auszahlen will, wird der Zugriff gesperrt, der Account eingefroren oder der Kontakt abgebrochen. Manche Plattformen verschwinden vollständig, andere blockieren gezielt Telefonnummern oder E-Mail-Adressen.

Die Vertragsbeziehungen zu solchen Plattformen sind rechtlich in der Regel nichtig oder anfechtbar (§§ 134, 138, 123 BGB). Es liegt regelmäßig ein Betrug (§ 263 StGB), gewerbsmäßiger Bandenbetrug (§ 263 Abs. 5 StGB), Geldwäsche (§ 261 StGB) und in vielen Fällen auch ein Verstoß gegen das Kreditwesengesetz oder das Kapitalanlagegesetzbuch vor.

Geschädigte können ihre Ansprüche auf verschiedene Rechtsgrundlagen stützen:

  • Rückforderung nach § 812 BGB (ohne Rechtsgrund gezahlte Beträge)
  • Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB)
  • Deliktischer Schadensersatz (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB)
  • Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB)

Besonders wichtig ist die schnelle Identifikation von Zahlungsempfängern, meist über E-Wallets, Kryptowährungsbörsen, Zahlungsdienstleister oder sogenannte Fintech-Konten. Hier können über einstweilige Verfügungen, Bankauskunftsanträge (§ 840 ZPO) oder internationale Eilrechtshilfe (z. B. im EU-Raum nach RL 2014/41/EU) Informationen gewonnen werden.

Erfolgsversprechende Maßnahmen:

  • Sofortige Strafanzeige und parallele zivilrechtliche Schritte
  • Einschaltung spezialisierter Ermittler zur Blockchain-Auswertung und IP-Rückverfolgung
  • Anträge auf Herausgabe von Nutzerdaten bei Plattformen (z. B. Google, Meta, Binance, Kraken)
  • Maßnahmen nach dem Geldwäschegesetz (§§ 43 ff. GwG) gegenüber Banken und Finanzdienstleistern
  • Internationale Rechtshilfeverfahren zur Sperrung und Rückführung von Vermögen

Die Kanzlei sollte dabei über Erfahrung im Umgang mit Offshore-Jurisdiktionen, Kryptotransaktionen, Onlineforensik und Beweisnotlagen verfügen. Ebenso wichtig ist die rechtlich fundierte Einschätzung von Erfolgschancen – nicht jeder Betrugsfall lässt sich rückabwickeln, aber viele lassen sich begrenzen.

 

7. Aktien- und Kryptobetrug: Pump-and-Dump, Fake-Coins, dubiose Investmentmodelle

Der Übergang von klassischem Wertpapierbetrug zum digitalen Kryptobetrug ist fließend. Täter nutzen gezielt das Investitionsinteresse breiter Bevölkerungsschichten an Aktien, Börsentrends, Kryptoassets und vermeintlich „zukunftssicheren“ Start-ups. Die Komplexität und Volatilität der Anlageklassen wird dabei bewusst ausgenutzt.

Pump-and-Dump-Modelle 

In Pump-and-Dump-Schemata wird der Kurs einer Aktie oder eines Tokens künstlich in die Höhe getrieben. Dies geschieht durch Fake-News, Massennachrichten in Telegram-Gruppen, Fake-Influencer-Kampagnen und Chatforen. Sobald der Kurs hoch genug ist, stoßen die Täter ihre Bestände ab – der Kurs bricht ein, der Rest verliert seine Einlagen.

Fake-Coins und ICO-Betrug 

In dieser Variante wird ein neuer Coin oder Token durch eine Website, ein sogenanntes „Whitepaper“ und gefälschte Partnerschaften vorgestellt. Investoren werden zu Frühkäufen animiert. Die versprochene Blockchain existiert jedoch nicht, das Kapital verschwindet in Offshore-Strukturen. Auch angebliche „Mining Pools“ sind oft reine Fiktion.

Dubiose Start-ups und Plattformen 

Immer häufiger werben vermeintliche Fintechs oder Start-ups mit Beteiligungsmöglichkeiten in Form von Tokenized Shares, Hybridanleihen oder „Blockchain-Innovationen“. In Wirklichkeit handelt es sich um Scheinfirmen oder nicht genehmigte Finanzprodukte.

Rechtliche Einordnung und Schutzmechanismen 

Viele dieser Angebote unterliegen der Erlaubnispflicht nach § 32 KWG oder § 1 KAGB. Fehlt diese, sind alle Verträge nichtig (§ 134 BGB). Auch Verstöße gegen das Vermögensanlagengesetz, das WpHG oder das Geldwäschegesetz können zivilrechtliche Rückabwicklungen begründen.

Ansprüche der Geschädigten richten sich gegen:

  • die Betreiber der Plattform (sofern identifizierbar)
  • involvierte Werbe-Influencer (bei konkreter Verkaufsförderung)
  • Zahlungsdienstleister und Banken (bei Mitwirkung)
  • sog. „Gateways“, d. h. Börsen, auf denen die Coins transferiert wurden

Ermittlung und Rückgewinnung 

Besonders effektiv sind:

  • Blockchain-Analyse-Tools (z. B. Chainalysis, CipherTrace)
  • Rückverfolgung von Wallets und Smart Contracts
  • Auskunftsersuchen an Krypto-Börsen mit KYC-Pflichten
  • zivilprozessuale Beweissicherung (§ 485 ZPO) und Arrestverfahren (§ 916 ZPO)

Die rechtliche Komplexität erfordert interdisziplinäre Kompetenz aus IT, Bankrecht, Kapitalmarktrecht und internationalem Prozessrecht. Oft ist Eile geboten – nicht nur wegen Verjährung, sondern weil Vermögenswerte schnell weiter transferiert werden.

 

8. Love Scam, WhatsApp- und Telegram-Betrug: emotionale Manipulation, Geldforderungen, Social Engineering

Der sogenannte „Love Scam“ – auch als Romance Scam oder Liebesbetrug bekannt – zählt zu den emotional belastendsten Betrugsformen überhaupt. Täter geben sich auf Partnerbörsen, sozialen Netzwerken oder Messenger-Diensten als attraktive und vertrauenswürdige Personen aus, mit dem Ziel, eine emotionale Beziehung aufzubauen und die Opfer zur finanziellen Unterstützung zu verleiten.

Typisch sind vorgetäuschte Lebensumstände wie:

  • Angehörige internationaler Organisationen (UNO, NATO, Ärzte ohne Grenzen), die angeblich im Ausland festsitzen
  • Verwitwete Geschäftspersonen mit minderjährigen Kindern
  • Ingenieure, Soldaten oder Unternehmer mit dramatischer Lebensgeschichte

In der Kontaktphase investieren Täter oft über Wochen oder Monate hinweg viel Zeit und Aufmerksamkeit. Täglich werden Nachrichten verschickt, Fotos, Videos und sogar Sprach- oder Videoanrufe. Sobald Vertrauen aufgebaut ist, wird erstmals um Geld gebeten – etwa für angebliche Krankenhausrechnungen, Visagebühren, Zollprobleme oder familiäre Notlagen. Opfer überweisen häufig wiederholt, oft vier- bis fünfstellige Beträge.

Technische Verstärkung durch Deepfakes und KI 

Zunehmend nutzen Täter auch künstlich erzeugte Fotos, Stimmen oder Deepfake-Videos, um die Täuschung zu perfektionieren. Opfer erleben vermeintliche „Live-Telefonate“, die in Wahrheit auf manipulierten Animationen basieren.

WhatsApp- und Telegram-Betrug 

Diese Betrugsformen setzen auf schnelle Manipulation. Häufige Muster:

  • „Hallo Mama/Papa, mein Handy ist kaputt. Hier ist meine neue Nummer …“
  • Angebliche Paketdienste mit Zahlungsaufforderungen
  • Fake-Investmentgruppen auf Telegram, wo massive Gewinne vorgespiegelt werden

Opfer überweisen teils mehrfach kleinere Beträge oder geben sensible Informationen preis, die zu weiteren Angriffen führen (Phishing, Kontenübernahme).

Rechtliche Einordnung 

Strafrechtlich ist regelmäßig § 263 StGB (Betrug) erfüllt, ggf. auch § 202a StGB (Ausspähen von Daten) oder § 269 StGB (Fälschung beweiserheblicher Daten). Zivilrechtlich bestehen Rückforderungsansprüche aus § 812 BGB, bei Vorsatz auch aus § 826 BGB.

Beweissicherung und Durchsetzung 

Wichtig ist eine sofortige Beweissicherung:

  • Chatverläufe, Fotos, Zahlungsbelege, E-Mail-Header
  • Strafanzeige bei der Polizei mit vollständiger Dokumentation
  • Meldung an Plattformbetreiber (Facebook, Tinder, WhatsApp etc.)
  • Antrag auf Auskunft bei Banken oder Zahlungsdienstleistern

Je nach Zahlungsweg (Kreditkarte, SEPA, Kryptowährung) sind unterschiedliche Rückbuchungs- oder Sperrverfahren möglich. In Einzelfällen können Täter oder deren Mittelsmänner über IP-Adressen, Kontoverbindungen oder Telefonnummern identifiziert werden.

Prävention und rechtliche Begleitung 

Neben der juristischen Bearbeitung ist die psychosoziale Betreuung der Opfer entscheidend. Viele Betroffene empfinden Scham, Isolation oder Zweifel an der eigenen Wahrnehmung. Hier ist eine empathische, vertrauensvolle anwaltliche Begleitung ebenso wichtig wie rechtliche Expertise.

 

9. Rückforderung und Schadensersatz: zivilrechtliche Ansprüche, Kontosperrung, Rückbuchung, Adressermittlung

Nach Eintritt eines Vermögensschadens durch Betrug stellt sich für Betroffene die Frage nach der Rückgewinnung des verlorenen Geldes. Zivilrechtlich stehen dabei mehrere Anspruchsgrundlagen zur Verfügung, die je nach Betrugsart unterschiedlich zu gewichten sind:

  • § 812 BGB (Leistung ohne Rechtsgrund): klassisch bei Zahlung an einen Nichtberechtigten ohne wirksamen Vertrag
  • § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung): bei moralisch verwerflichem Verhalten, auch ohne Strafbarkeit
  • § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB: deliktischer Schadensersatz bei erfülltem Betrugstatbestand
  • § 123 BGB (Anfechtung wegen Täuschung): Rückabwicklung von Verträgen

Je nach Zahlungsart kommen zusätzlich öffentlich-rechtliche oder bankenrechtliche Instrumente in Betracht:

  • SEPA-Zahlungen: Rückbuchung nur in engen Fristen möglich (i.d.R. 8 Wochen)
  • Kreditkartenzahlungen: Chargeback-Verfahren mit Verweis auf unautorisierte Buchung oder Nichtlieferung
  • Krypto-Zahlungen: Rückverfolgung via Blockchain, Auskunftsansprüche gegen Börsen mit KYC-Pflicht

Kontosperrung und Eilmaßnahmen 

Bei zeitnahem Verdacht können Banken oder Zahlungsdienstleister mit fundierter anwaltlicher Begründung zur Kontosperrung veranlasst werden. Auch einstweilige Verfügungen (§§ 935 ff. ZPO), Arrestbeschlüsse (§ 916 ZPO) oder internationale Rechtshilfeersuchen sind denkbar.

Adressermittlung und Zustellung 

Viele Täter verwenden Strohmänner oder Briefkastenadressen. Mithilfe von Bankdaten, IP-Adressen, Kommunikationsanbietern und Drittplattformen (Google, Meta, Binance etc.) können über anwaltliche Auskunftsersuchen (§ 21 TTDSG, § 15 TMG a.F.) oder gerichtliche Anträge relevante Informationen beschafft werden.

Strategische Prozessführung 

Der Prozess gegen unbekannte oder schwer greifbare Täter verlangt prozesserfahrene Juristen, die mit Beweisnotlagen, unklaren Zuständigkeiten und internationalen Verfahrensfragen umgehen können. Sinnvoll ist häufig die Bündelung gleichgelagerter Fälle (z. B. als Sammelklage oder strategische Parallelklage).

 

10. Betrug der Zukunft: Künstliche Intelligenz, Deepfakes und neue Herausforderungen für den Rechtsstaat

Die technologische Entwicklung verändert die Betrugslandschaft fundamental. Mit der breiten Verfügbarkeit von künstlicher Intelligenz (KI), Sprachsynthese, Deepfake-Technologie und automatisierten Chatbots entstehen neue Bedrohungsszenarien für Verbraucher, Unternehmen und Behörden.

Neue Betrugsformen durch KI

  • Deepfake-Videos in Bewerbungsgesprächen oder Verhandlungen
  • Imitation realer Stimmen am Telefon, z. B. von Vorgesetzten („CEO-Fraud“)
  • Autonome Chatbots, die auf Finanzportalen Opfer zu Einzahlungen überreden
  • KI-generierte Fake-Profile inklusive Gesprächsverläufe und Biografien

Diese Betrugsformen sind besonders schwer zu erkennen, weil sie psychologische Trigger gezielt einsetzen und in Echtzeit reagieren. Die klassische Authentizitätsprüfung – über Sprache, Bild oder Ton – verliert zunehmend an Beweiskraft.

Rechtliche Herausforderungen 

Bestehende Gesetze wie § 263 StGB oder § 826 BGB bleiben grundsätzlich anwendbar, doch Beweisführung, Zurechnung und Verfolgung werden erheblich erschwert. Insbesondere im Bereich der deliktischen Haftung und Urheberrechtsverletzungen durch KI-Modelle klaffen aktuell erhebliche Regelungslücken.

Zukunft der Betrugsabwehr

  • Ausbau internationaler Cybercrime-Kooperation (z. B. durch Europol, Eurojust, Interpol)
  • Verpflichtende Sicherheitsstandards für Plattformen, Börsen, Payment-Gateways
  • Künstliche Intelligenz zur Erkennung verdächtiger Verhaltensmuster (z. B. „Anomalie-Scoring“)
  • Schaffung von klaren Haftungsregeln für Betreiber technischer Infrastrukturen

Anwaltliche Perspektive 

Die Anwaltschaft wird künftig stärker als interdisziplinärer Berater gefragt sein – mit Kompetenzen in Technik, Beweissicherung, internationalem Recht und strategischer Prozessführung. Auch der präventive Rechtsschutz (Vertragsgestaltung, AGB, Hinweis- und Kontrollsysteme) gewinnt massiv an Bedeutung.

In einer zunehmend digitalisierten Welt bleibt die juristische Auseinandersetzung mit Betrug nicht nur ein Feld der Rückabwicklung, sondern eine strategische Kernaufgabe – zum Schutz des Vertrauens in rechtliche und wirtschaftliche Strukturen.

 

 

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